Graue Welt

Eine Welt ohne Kultur, wo alles grau ist. Kein Haus ist einzigartig. Kein Möbelstück ein Uniquat. Ästhetik, Komposition Szenerie sind fremde Konzepte. Jede Stadt ident zur nächsten. Farben werden gefressen von grauem Schleier. Keine Musik. Keine Bücher. Keine Kabaretts. Keine Shows. Keine Freizeit. Keine Unterhaltung. Kein Spaß. Das Wort Ästhetik wird aus dem Duden gestrichen. Ist das Ziel Unterhaltung, ist es passé. Alles ist rechteckig und stumpf. Jedes Objekt in der Welt genauestens am richtigen Platz. Hochhaus reiht sich an Hochhaus reiht sich an Hochhaus. Jede Straße gleich der nächsten. War ich hier nicht schon? Die Bäume millimetergenau gestutzt. Kein Ast darf sein Ding machen. Musik ist eine ferne Erinnerung von gestern. Kinder der neuen Generation ist es verboten zu erzählen, wie es früher war. Die Vögel haben aufgehört zu singen als sie merkten niemand hört sie. Bücher wurden verbrannt. Schriften, die Informationen beinhalteten und nicht fiktional waren, wurden neu gedruckt. Die in einer Größe gehaltenen, beigen Blöcke sind zum Verwechseln ähnlich. Nur der Titel in Comic Sans (=alles Geschriebene ist Comic Sans) hebt sie voneinander ab.

Künstler_innen, Musiker_innen, Theaterleute, Tänzer_innen, Schauspieler_innen, Autor_innen. Alle wurden arbeitslos. Die Welt war so leer, von was sollten sie erzählen? In der Welt von heute ist nur Platz für Büros und Akten. Dort wo früher Lachen, Musik und Menschen waren, sind jetzt Büroeingänge. Nur noch die älteste Generation kann sich in ihre Gedanken flüchten, wo die Musik spielt und die Menschen lachen.

Die Natur als letztes Refugium der Schönheit hält Hoffnung. Sie antwortet auf keinen Befehl. Sie verändert sich nicht, bloß weil ein Blatt Papier es so will. Die Natur ist hartnäckiger als die Menschen es waren. Ohne Kampf gibt sie nicht auf. Ein langanhaltender Krieg zwischen Mensch und Natur war vor einer Ewigkeit entfacht. Doch Natur erschlafft langsam. Ihre Schönheit wird seltener. Wälder verschwinden. Tiere sterben. Der Himmel verliert sein Blau. Das Wetter seinen Wandel. Gelegentlich versucht Natur den Kampf zu gewinnen und entlädt ihren Frust. Doch kein Hurricane ist stark genug, um Ignoranz fortzutragen.

Ohne Abwechslung lebt der Mensch für die Arbeit. Alle pilgern sie Tag ein Tag aus zu rechteckigen Blöcken und bearbeiten vollgeschriebene Papierstapel und tippen fortlaufend in Tastaturen. Am Morgen zur Arbeit, am Abend zurück in die leere Wohnung. Ein Feierabendbier mit Kolleg_innen keine Option. Clubs und Bars vergessen. 

Jeder Schritt, sowie jeder Handgriff ist monoton. Ausbrechen daraus nicht möglich. Eine starre Struktur diktiert die Tage. Die Arbeitgeber_innen sind abstrakte Konstrukte. Ohne Name und ohne Gesicht, jedoch präsent im Leben jedes Menschen. Niemand weiß, wo sie sind und woher alles kam, jedoch lässt die Situation keine Zweifel zu. Ein Denken außerhalb der Arbeit ist unmöglich. Die Köpfe der Menschen auf Autopilot. Die Regierung überwacht und koordiniert die WeltORDNUNG. Eine einzelne Regierung wacht über den Planeten. Sie stellen Regeln auf. Nimmt den Menschen das Denken ab. 

Zwei Beispiele von geltenden Regeln:

Dresscode: Die Kleidung muss sowohl in der Arbeit wie auch danach getragen werden. Zu Auswahl steht ein schwarzer Anzug mit beiger Krawatte oder ein schwarzer Blazer mit beiger Chino. Schuhe: schwarze Anzugsschuhe (glatt), ohne Verzierung oder schwarze Stöckelschuhe mit drei Zentimeter Absatz. Die Haare müssen entweder abrasiert oder zu einem festen Zopf zusammengebunden werden. Ein Adaptieren des Dresscodes ist unzulässig. Keine hochgekrämpelten Ärmel sowie kein Kombinieren der zwei Optionen. Gesichtsbehaarung muss abrasiert werden. Jeglicher Verstoß wird bestraft.

Zeit nach Beendigung des Arbeitstags: Nach Beendigung der Arbeit muss auf schnellstem Weg der Wohnsitz erreicht werden, wo mit den anderen dort untergebrachten Menschen höchstens 150 Wörter gewechselt werden dürfen. Danach ist die Instandhaltung des Körpers zu vollziehen. Das bedeutet Essen, Waschen und Schlafen. Es muss sich vorbildlich auf den nächsten Arbeitstag vorbereitet werden. Eine Versäumnis der Pflichten führt zu Strafe.  

Das Leben nach der Arbeit ist ebenso durchgeplant. Die persönliche Individualität starb mit der Kultur. Anpassung  wurde höchster Grundsatz. Einblenden in die Gesellschaft zum Ethos. Herausstechen, Einzigartigkeit sofort sanktioniert. Die Charakterzüge der Menschen nivellierten sich. Das Konzept Freizeit wurde verabschiedet. Feiertage abgeschafft. Wochentage verloren ihre Namen und der gregorianische Kalendar mit einer fortlaufenden Nummerierung ersetzt. Heute ist Tag 25.568. Das Individuum wurde zur Einheit. Persönliche Eigenschaften wie liebenswert, empathisch, fürsorglich,  hinterlistig, gesellig, tierlieb, arrogant, kreativ, böse, usw. waren nur mehr inhaltslose Hüllen. Hobbys und persönliche Interessen konnten sich nicht entwickeln. Einzig allein die natürlichen Unterscheidungsmerkmale des Körpers und des Geistes sind weiterhin vorhanden. Menschen kommen einzigartig auf die Welt; Erst dann werden sie wie alle anderen. Solange die Menschen nicht im Labor vermehrt werden können, bleibt das auch so. Es wird bereits an einer Lösung dieses Problems gearbeitet. Um jedoch die nächste Generation zu gewährleisten, müssen Menschen über 18 regelmäßig in die Vermehrungszentren einkehren. Es ist die Pflicht jedes zeugungsfähigen Menschen mindestens zwei Nachkommen zu gewährleisten. Liebesbeziehungen sowie zufällige oder ungewollte Schwangerschaften gab es lange nicht mehr. Der natürliche Sexualtrieb  schwindet mit jeder neuen Generation. Liebe ist unbekannt.

Um all das zu gewährleisten und Störenfriede auszusieben, gehen Kinder ab dem dritten Lebensjahr in Erziehungseinrichtungen. Die persönliche Zeichnung des Charakters muss vernichtet werden. Junge Menschen werden gedrillt die Weltordnung einzuhalten. Nach und nach wird das eigene Denken abgedreht. Kreativität als Feind klassifiziert. Kinderköpfe sind bunte Orte, wo Kreativität zuhause ist. Bunte Farben treffen aufeinander und zeichnen Bilder einer Welt anders als die gelebte. Ohne Müh und Not fließen Ideen und Geschichten durch die Hirnwindungen der kleinen Menschen und sie erklimmen den höchsten Berg der Welt oder retten das Dorf vor dem feuerspeienden Drachen. Doch fehlende Abwechslung und stumpfe Sortierarbeiten, sowie folgsames Auswendiglernen der Regeln und Sitten der Welt, lässt die Träume aus den Köpfen flüchten auf der Suche nach einem Ort, wo sie wahr werden können.

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